Oh, du fröhliche!

Friday, December 16, 2016

Wie irgendjemand auf die Idee kommen konnte, uns Weihnachten als besinnlich verkaufen zu wollen, erschließt sich mir bis heute nicht. Vielleicht war es das früher, als man ausnahmsweise zwei Tage frei bekam, gemeinsam mit der Familie in die Kirche ging und danach zum ersten und einzigen Mal im Jahr Fleisch und Süßigkeiten aß. Aber das war einmal. 

Mittlerweile fängt der Wahnsinn ja schon Anfang November an, wenn die Kürbisse und das falsche Blut in den Supermarktregalen im fließenden Wechsel von Lebkuchen und Duftkerzen abgelöst werden. Zu dem Zeitpunkt hat es draußen dank Klimawandel heutzutage übrigens noch um die 15 Grad. Dann folgen die Adventkalender, aber wer den im Geschäft kauft, ist ohnehin uncool. Meine Freundin Birgit wohnt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Ebreichsdorf. Die haben einen selbstgebastelten Adventkalender aus Papier Maché im Wohnzimmer, in den natürlich nur grasgefütterte, artgerecht gehaltene Schokolade kommt. 

In der dritten Novemberwoche machen dann die Christkindlmärkte auf, diese wunderbare österreichisch-deutsche Institution, wo der Besucher um sieben Euro die Tasse Punsch trinken und sich der Tatsache erfreuen kann, dass nicht er das mit quengelnder Stimme nach einem Spongebob-Luftballon schreienden Kind in die Welt gesetzt hat. Bekanntschaften, die man das ganze Jahr lang oft aus gutem Grund nicht gesehen hat, wollen plötzlich alle mit einem auf einen Punsch. Und dann trudeln nach und nach die Einladungen zu Weihnachtsfeiern ein, die alle auf den letzten Donnerstag vor Heiligabend fallen. So steht man vor der Wahl, bei welchem Gastgeber man sich über die Kloschüssel gebeugt der fragwürdig zubereiteten Weihnachtsforelle entledigen möchte. Zur Firmenweihnachtsfeier muss man natürlich ohnehin, das gehört sich. Da wird dann die erstaunlichste Karriereleistung des Jahres erbracht: halbwegs nüchtern zu bleiben und beim Smalltalk mit dem Chef ehrliches Interesse an Vertriebsstrategien zu heucheln.  

Doch die wahrhaftige Krönung der Besinnlichkeit ist erst das Familientreffen. Man findet sich entweder bei Verwandten oder in einem urösterreichischen Wirtshaus ein und versucht krampfhaft, möglichst neutrale Gesprächsthemen zu finden. Auch bei Opa Erwin, der „das ganze Ausländergsindl“ nicht leiden kann, und Tante Gudrun, die grundsätzlich gegen Impfungen ist. Aber so enthusiastisch man auch über das Wetter und Keksrezepte spricht, spätestens nach der Vorspeise gerät man ins Kreuzverhör. Nein, Oma, ich bin noch immer in keiner zukunftsträchtigen Beziehung, und ja, Tante Gudrun, meine Schwester ist in der Tat schlanker als ich, und ich habe trotzdem kein Interesse an der glutenfreien Low-Everything-Diät, die du für dich entdeckt hast. 

Das einzig Erträgliche an der Weihnachtszeit ist der Abend des 26. Dezember, an dem die ganze Besinnlichkeit vorbei ist, und man mit Keksdose und Weinflasche in der Badewanne liegen kann, bis man so verschrumpelt ist, wie die vergessenen Mandarinen im Nikolaussack. 

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